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Traumatherapie 3/4
EMDR-Mehr als Augenwischerei
Stell dir einmal vor es gebe eine Therapiemethode die dir wieder ermöglichen kann ein Flugzeug zu betreten, dich Bahn fahren zu lassen, dass du dich in größeren Menschenmengen aufhalten kannst, die Kontrolle über deine traumatischen Erfahrungen zurückbringen kann.
Klingt zu schön um wahr zu sein?
Das dachte ich mir am Anfang auch…
Das erste Mal habe ich in der Ausbildung von EMDR gehört und das auch fast nur in einem Nebensatz.
Schwerpunktmethoden meiner Grundausbildung waren die von Krankenkassen anerkannten Therapieverfahren, wie der Psychoanalyse, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, Verhaltenstherapie und die systematische Therapie.
Als ich die aufbauende Ausbildung der kognitiven Verhaltenstherapie absolvierte, lernte ich eine Teilnehmerin kennen, die selber EMDR-Therapeutin ist und damit ihre Flugangst soweit wieder unter Kontrolle hat, dass sie zwar das Fliegen immer noch nicht mag, jedoch wieder ein Flugzeug betreten kann und das schon nach wenigen Einheiten.
Mein Interesse mehr über diese Methode zu erfahren wurde geweckt und ich bin bis heute begeistert, welche Wirkung EMDR erzielen kann.
In diesem Artikel möchte ich dir mehr über meine persönlichen Erfahrungen und Kenntnisse über EMDR aufzeigen als dir nur Studienergebnissen zu präsentieren.
Diese findest du schnell durch eine kleine Onlinerecherche also lass uns hier etwas tiefer eintauchen wie sich eine EMDR-Einheit anfühlt.
Wofür steht EMDR?
EMDR steht für Eye Movement Desensitization and Reprocessing.
Wörtlich übersetzt: Augen Bewegungs- Desensibilisierung und Neuverarbeitung.
Wie funktioniert EMDR?
Von der Theorie…
EMDR wurde von Dr. Francine Shapiro erfunden und zeichnet sich aus über eine bilaterale Stimulation deiner Gehirnhälften durch Augenbewegung, Musik oder Geräusche oder auch durch Reize auf deiner Haut.
Nun zur Praxis….
Stell dir vor du sitzt mir leicht versetzt gegenüber und folgst meiner Fingerbewegung, die ich im möglichst großem Radius von deiner einen Gesichtshälfte auf die andere bewege. Hierdurch werden deine Gehirnhälften zur Kommunikation unter einander aufgefordert und die Verarbeitung deiner Belastung angeregt.
Dein Gehirn kannst du dir wie ein komplexes System von vielen Leitungsbahnen vorstellen die miteinander vernetzt sind. Nun kann es bei Traumata, Ängsten, Phobien usw. passieren, dass die zuvor auslösende Situation, die die Störung hervorgerufen hat, in einem Teil des Systems festsitzt und nach erneuten, vielleicht sogar harmlos Reiz dich genau in die negative Situation zurück bringt. So kann ein vermeintlich harmloser Geruch, wie z. B. frisch gemähter Rasen, dich zurück in die traumatisierende Situation bringen. Oft erlebst du diese sogar bei voller Intensität wieder, da du bewusst oder unbewusst damals frisch gemähten Rasen wahrgenommen hast und du diesen nun mit der Belastung verknüpfst.
Diese Art der inneren Kommunikationsanregung erfolgt fast ohne über das Trauma zu sprechen, nur kann ich dir leider nicht abnehmen noch mal in die belastende Situation zu gehen. Sie dient als Startsequenz für die Belastungsreduzierung, verändert sich erfahrungsgemäß nach ein paar Winkbewegungsset in scheinbar zusammenhangslosen neuen oder alten Erfahrungen.
Für welche psychischen Erkrankungen kann EMDR eingesetzt werden?
- Traumatische Erlebnisse
- Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
- Ängsten
- Phobien
- Depression
- Chronischen Schmerzen
- Starker Trauer / Verlusterlebnisse
- Stoffgebundene Abhängigkeit die im Zusammenhang mit traumatischen Erlebnissen stehen
Meine Erfahrungen als EMDR-Patient
Zugegeben basieren meine persönlichen Erfahrungen mit EMDR Sitzungen nicht auf eigenen traumatischen Erlebnissen. Dennoch ist es für Therapeut:innen von besonderer Bedeutung auch den eigenen Stuhl zu verlassen und sich in die Position von Patient:innen zu begeben. Ich habe mehrfach alle Möglichkeiten der bilateralen Stimulation getestet und für mich den klassischen Weg über die Augenbewegung als effektivsten wahrgenommen.
Abhängig von dem Therapeut:innen mir gegenüber habe ich von einzelnen Bildern bis hin zu ganzen Szenen erlebt.
Einheit-Körper als Ausdruck
Ich kann mich noch gut an eine Therapeutin mir gegenüber erinnern, mit der ich zum ersten Mal eine Art Körperreise in der EMDR Sitzung machte. Die Einheit ist mir in Erinnerung geblieben, da ich keinerlei Bilder vor meinen inneren Auge sah, sondern einen Ausdruck in meinen Körper feststellte. Anfangs begann die Einheit mit eher negativeren Ziehen und Zwicken, wie z. B. Knieschmerz, Kopfziehen, Stechen in der Magengegend, also an ganz unterschiedlichen Bereichen meines Körpers. Später wandelte sich die Körperwahrnehmungen in warme oder auch wohltuende Ausdrücke meines Körpers und wir beendeten die Sitzung mit einem positiven Abschluss und einem schönen Gefühl von Dankbarkeit. Diese Einheit war dahingehend besonders für mich, da sie mir eine ganz neue Perspektive in der Verarbeitung meiner Themen erfahren lies und ich diese auch mit keiner anderen Therapeutin wieder erlebte.
Einheit-Meine Haiphobie
Klingt als Wassersportler vielleicht etwas komisch, dennoch bin ich oft der einzige Kite- oder SUP-Sportler, der sich regelmäßig nach Haifischflossen umsieht. Mit Sportequipment ging ich schon ins Wasser, nur mied ich es stets einfach mal raus zu schwimmen und die Wellen zu genießen. Woher diese Phobie kommt, dass konnte ich mir nie erklären. Mein Unterbewusstsein wusste allerdings genau wann diese Phobie entstanden ist. Mir kamen nach ca. 20 Minuten der Einheit Szenen aus meiner Kindheit vor mein innerem Auge, in denen ich mich im Schwimmbad meiner Großeltern befand und ausgelassen mit meiner Familie Spaß hatte. Nachdem wir ausgiebig im Becken planschten ging meine Mutter mit meiner Schwester zuerst aus dem Wasser, um sich schon mal abzuduschen. Meine Aufgabe war es die aufgerollte Wärmefolie wieder auf die Wasseroberfläche zu bringen und so zog ich den Wärmeschutz noch im Becken schwimmend nach und nach Richtung Beckenrand. Somit bedeckte die Folie immer mehr das Wasser, woraufhin es immer dunkler unter dem Schutz wurde. Meine Annahme war es, dass sich in der Dunkelheit eine Luke öffnet und ein Hai ins Becken schwimmt und so beeilte ich mich so schnell es nur ging aus dem Becken zu kommen und wieder sicher die Leiter hinauf zu steigen.
An diese Kindheitserfahrung konnte ich mich schon gar nicht mehr erinnern, dennoch hatte sie Auswirkungen auf mein jetziges Leben.
Heute kann ich dir sagen, dass ich immer noch ein mulmiges Gefühl habe raus aufs Meer zu schwimmen oder mit dem Kite oder SUP zu surfen. Dennoch ist die Intensität des mulmigen Gefühls so aushaltbar geworden, dass ich im letzten Strandurlaub weit aufs offene Meer fahren und mit der Zeit sogar den Moment genießen konnte.
Einheit-Luftnot
Eine ganz besondere Erfahrung erlebte ich mit einer Therapeutin, mit der ich schon einige Supervisionen zusammengearbeitet habe.
Das Thema der Einheit war ein starker Leistungsdruck bzw. Reizüberflutung.
Schon nach wenigen Minuten sah ich mich an meinen alten Arbeitsplatz umzingelt von Patient:innen, die mich alle ansprachen und etwas von mir benötigten.
Kurz darauf meldete sich mein Körper und zeigte mir ein Gefühl von Luftnot auf. Es fühlte sich an als ob etwas auf meinen Brustkorb säße und mich nicht atmen ließe. Schweißausbrüche und Herzrasen vervollständigten diesen intensiven Ausdruck meines Unterbewusstseins über meinen Körper. Schnell wandelte sich diese negative Wahrnehmung hinzu zu einen positiven Abschluss, nur was bis heute blieb ist eine klare Empfehlung von mir für dich:
Lass dich bitte nur von qualifizierten EMDR-Therapeut:innen behandeln!
Dein gegenüber sollte nicht nur Expert:in für die methodische Durchführung sein, sondern genauso geschult in Entspannungstechniken, Notfallinterventionen bzw. sind Kenntnisse in erste Hilfe bei Hyperventilation oder ähnliches deutlich von Vorteil.
Fazit:
EMDR kann eine sehr wirkungsvolle Therapiemethode sein deine negativen Erfahrungen soweit zu reduzieren, dass die Belastung für dich aushaltbar ist.
Statt immer wieder die traumatisierende Situation zu besprechen und ggf. wiederzuerleben, nutzt EMDR die auslösende Situation Hauptsächlich als Startsequenz, was bei meinen Patient:innen als angenehmer empfunden wird. Bringe bitte vor dem ersten Therapeut:innenkontakt in Erfahrung ob eine qualifizierte Ausbildung dieser Therapiemethode absolviert wurde und du der Person vertrauen kannst.
Persönliche Therapeut: inneninformationen finde ich notwendig auf jeder Praxiswebseite, da ein gutes Vertrauensverhältnis entscheidend für den Therapieerfolg ist.
Dein Marcel Wode